Seit dem Sommer 2014 haben wir im Rahmen unseres Projekts Nuevos Horizontes unsere bisherigen Bildungsmethoden für interaktive Workshops mit jungen Menschen komplett überarbeitet und werden sie nun unter dem Titel Fokuscafé Lateinamerika neu herausgeben. Ein Team aus zwölf Honorarkräften, zwei Haupt- und zwei Ehrenamtlichen des Infobüros hat in einem intensiven Prozess die bestehenden Methoden inhaltlich aktualisiert und erweitert sowie konzeptionell verbessert. Dabei ist ein Set aus fünf Werkheften und einer Material-DVD entstanden, das Lehrer_innen und in der außerschulischen Bildungsarbeit Aktive für eine abwechslungsreiche und kritische politische Bildung einsetzen können. Die Methoden vermitteln anhand von Beispielen aus Lateinamerika und Deutschland spielerisch globale Zusammenhänge und regen Jugendliche zu einer kritischen Reflexion an. Sie sind eine gute Grundlage für die Bildungsarbeit, die wir in den kommenden Jahren im Infobüro umsetzen wollen. Aber nicht nur hier sind wir mit dem Projekt zu „neuen Horizonten“ aufgebrochen. Im Laufe des Überarbeitungsprozess erweiterten wir unseren Horizont und damit auch die Materialien in didaktischer wie inhaltlicher Weise entscheidend weiter. Einige dieser Aspekte schildern wir im folgenden anhand der einzelnen Werkheft-Themen.
Im Werkheft zum Thema Wirtschaft wird die Perspektive auf globale wirtschaftliche (Ungleichheits-)Strukturen gelenkt. Dabei ist uns wichtig, nicht nur die ökonomischen Verhältnisse im Globalen Süden kritisch unter die Lupe zu nehmen sondern auch die in Deutschland. So haben wir zum Beispiel den bisherigen Baustein zu Arbeitsbedingungen in den Maquiladoras/Weltmarktfabriken in dreierlei Hinsicht umgebaut: Unter dem neuen Titel „Arbeiter_innen aller Länder… – Arbeitsbedingungen in der globalisierten Wirtschaft“ thematisiert der Baustein nun nicht nur die Verhältnisse in den textilproduzierenden Weltmarktfabriken in Mittelamerika sondern ebenso die Bedingungen, unter denen die Verkäufer_innen im Textil-Einzelhandel in Deutschland arbeiten. Außerdem wird ein verstärkter Blick auf die globalen wirtschaftlichen Strukturen und die „Sachzwänge“ des kapitalistischen Marktes geworfen. Hierdurch werden die jugendlichen Teilnehmer_innen angeregt, einen tiefergehenden Blick auf die Ursachen für die schlechten Arbeitsbedingungen sowohl in Mittelamerika wie auch in Deutschland zu werfen. Ein dritter neuer Fokus des Bausteins liegt auf den Kämpfen der Arbeiter_innen und Angestellten für ihre Rechte. An diesen schließt dann auch die Frage nach Handlungsmöglichkeiten für die Teilnehmer_innen an: Statt nur auf den Kauf von „Fair Trade“-Bekleidung zu verweisen, wird ihnen die Option näher gebracht, die Kämpfe der Arbeiter_innen zu unterstützen und sich auch selbst – spätestens im Berufsleben – für ihre eigenen (Arbeits-)Rechte zu organisieren und gemeinsam einzusetzen. Als neues Thema des Werkheftes wird unter anderem die Privatisierung öffentlicher Dienste und gemeinschaftlichen Eigentums mit einem Monopoly-Spiel thematisiert.
Auch im Werkheft zum Thema Migration haben wir die Perspektiven der Auseinandersetzung verschoben. Der Fokus liegt nun weniger auf ein Hineindenken oder -fühlen in die Situation von Migrant_innen und Flüchtenden, was ohnehin nicht wirklich gelingen kann. Stattdessen werden hauptsächlich die historisch beispiellose Grenzziehung und Abschottung des Globalen Nordens gegen Menschen aus dem Globalen Süden, die dahinter stehende Politik sowie deren oft tödliche Konsequenzen thematisiert. Ebenso wird verdeutlicht, dass die Ursachen für Migration aus dem Globalen Süden oftmals in der Politik und Wirtschaft des Globalen Nordens zu finden sind. Neben der Auseinandersetzung mit der aktuellen Migration von Lateinamerika in die USA wird hierzu auch die Migration in die EU in den Blick genommen. Ein weiterer Schwerpunkt des Heftes liegt auf den von und mit Migrant_innen geführten Kämpfen gegen Abschottung und für Bewegungsfreiheit sowie auf Alternativen zur bestehenden Migrationspolitik des Globalen Nordens. So wird etwa die Politik Ecuadors thematisiert, die in der Verfassung das Recht auf Migration festschreibt und Menschen, die nach Ecuador migriert sind, fast die gleichen Rechte einräumt wie Menschen mit ecuadorianischer Staatsbürgerschaft.
Die zentrale These des Werkhefts zum Thema Rassismus und Kolonialismus ist, dass es für eine Auseinandersetzung mit den globalen Strukturen notwendig ist, eine historische Perspektive einzunehmen und die aktuellen Machtverhältnissen in ihrer Entstehung aus der kolonialen Geschichte zu betrachten. Einige der zentralen Fragen sind daher: Was hat die koloniale Ausbeutung mit heutiger globaler Ungleichheit zu tun? Und inwiefern weist die globalisierte Wirtschaft des 21. Jahrhunderts noch immer neo-koloniale Züge auf? Ebenso sollen aus dieser Geschichte erwachsene, dominante Erzählungen und Deutungen hinterfragt werden – etwa der „Entwicklungs“-Diskurs. Neben dem historischen Fokus setzten sich die Methoden des Werkheftes auch mit dem Thema Rassismus auseinander. Rassismus wird dabei als Machtverhältnis verstanden, das sowohl in der Auseinandersetzung mit globalen Fragestellungen relevant ist, wie auch innerhalb der Teilnehmer_innen-Gruppen, mit denen die Methoden angewandt werden. Die Reflexion über diese doppelte Relevanz von Rassismus in unserer Arbeit stellte uns im Laufe unseres Arbeitsprozesses vor neue Herausforderungen, denen wir uns unterstützt vom machtkritischen Verein glokal aus Berlin stellten. Aus diesem Auseinandersetzungsprozess entstanden einige Veränderungen und neue Ideen, denn in unseren bisherigen Materialien ebenso wie bei vielen anderen Bildungsmaterialien, die globale Machtverhältnissen thematisieren, wurde die unterschiedliche Positionierung innerhalb der Teilnehmer_innen-Gruppe nicht ausreichend mitgedacht. Oft wurde implizit von einer rein weißen Gruppe ausgegangen und somit Menschen ausgeschlossen, die von Rassismus negativ betroffen sind.
Im Werkheft zu Klimawandel und Umweltkonflikten wird in der Neuauflage stärker als bisher die Frage danach gestellt, was Ressourcen-Ausbeutung im Globalen Süden mit uns zu tun hat. So wird etwa am Beispiel Kohleabbau in Kolumbien gefragt, wofür die Kohle genutzt wird, wohin sie exportiert wird und welche deutschen Unternehmen daran beteiligt sind. Außerdem wird mit Hilfe des Konzepts der Klimagerechtigkeit der Klimawandel als neue Form des Nord-Süd-Konfliktes thematisiert und die damit einhergehenden, global extrem unterschiedlichen Privilegien und Betroffenheiten in den Blick genommen. Aus diesen Perspektiven ergibt sich eine grundlegende Hinterfragung des bestehenden wachstumsbasierten, neo-kolonialen und kapitalisitschen Wirtschaftsmodells, statt nur auf „nachhaltigeren“ Konsum und „Green Economy“ als Handlungsalternativen zu verweisen. So findet im letzten Kapitel unter dem Titel System Change Not Climate Change dann auch eine Auseinandersetzung mit Alternativen statt, die einen grundsätzlich anderen Umgang mit Menschen und Umwelt aufzeigen.
Am Ende eines sehr intensiven Arbeitsprozesses freuen wir uns sehr, die neuen Materialien bald in der Hand halten zu können. Noch mehr freuen wir uns natürlich, wenn andere daran Interesse haben und wenn wir sie selbst mit Jugendlichen anwenden können. Hierzu werden wir in den kommenden zwei Jahren ausreichend Gelegenheit haben: In unserem neuen Bildungsprojekt werden wir 2016 und 2017 insgesamt 160 Tages-Workshops mit Schulklassen und außerschulischen Gruppen in ganz NRW und darüber hinaus durchführen. Außerdem werden wir im gesamten Bundesgebiet mehrere Multiplikator_innen-Seminare und Lehrer_innen-Fortbildungen organisieren, in denen Interessierte unsere neuen Materialien des Fokuscafé Lateinamerika kennenlernen können. Wenn Ihr Interesse am Werkheft-Set, unseren Workshops oder unseren Fortbildungen habt, wendet euch gerne an uns!